Der saubere Clan
Die dubiosen Verbindungen in die Schweiz belegen: die Familie Jelzin steckt tief im russischen Geldwäscher-Sumpf.
Von Daniel Ammann und Beat Balzli
Es wird eng für die Jelzins. Die russische Präsidentenfamilie steht seit vergangener Woche im Mittelpunkt einer riesigen Korruptionsaffäre. Erstmals zielen die Vorwürfe direkt gegen Boris Jelzin und seine Töchter.
Den russischen Präsidenten bringen vor allem dubiose Verbindungen in die Schweiz in die Bredouille. Bundesanwältin Carla Del Ponte fand bei Hausdurchsuchungen in der Tessiner Baufirma Mabetex offenbar Abrechnungen von Kreditkarten, die auf die Namen Boris Jelzin und seine Töchter Tatjana Djatschenko und Jelena Okulowa lauteten. Die Mabetex habe ihnen Firmen-Kreditkarten überlassen und eine Million Dollar auf ein Konto in Ungarn überwiesen «zur Begleichung kleinerer Ausgaben», schrieb der Mailänder «Corriere della Sera».
Die Luganeser Baufirma von Behgjet Pacolli spielt im Skandal um den Kreml eine zentrale Rolle. Sie soll russische Beamte mit Millionenbeträgen bestochen haben, um an lukrative Aufträge zu kommen, zum Beispiel für die Renovation des Kremls und anderer Regierungsgebäude. Der Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa beschuldigt in diesem Zusammenhang Pawel Borodin, den einflussreichen Verwaltungschef des Kremls, und 23 Beamte und Vertraute des russischen Präsidenten der Geldwäscherei. Alle Beteiligten weisen alle Vorwürfe zurück. Pacolli sagte am Dienstag, er habe einem ungarischen Auftragnehmer eine Million Dollar gezahlt. Dies sei fälschlicherweise von den Ermittlern als Überweisung einer Bestechungssumme gedeutet worden.
Der Skandal zieht noch grössere Kreise: Laut Informationen von FACTS werden in der Schweiz derzeit mehrere Visa-Anträge untersucht, die dank Einladungen der Mabetex zu Stande kamen. Zu den Besuchern im Tessin gehörte Viktor Tschernomyrdin. Der Expremier erhielt noch im Sommer 1998 auf Veranlassung von Mabetex ein Visum. Inwieweit er sich bei seiner Reise ins Tessin persönlich bereicherte, ist unklar.
Drei Monate vor den russischen Parlamentswahlen ist vergangene Woche eine weitere Korruptionsaffäre geplatzt, die alles Bisherige in den Schatten stellen dürfte und den Kreml in den Grundfesten erschütterte. Sie wird bereits als der grösste Geldwasch-Skandal gehandelt, der in den USA je aufgedeckt wurde. Und wieder sind Mitglieder des Jelzin-Clans darin verwickelt. Es geht um zehn Milliarden Dollar, die aus Russland auf Konten der Bank of New York flossen. Die Untersuchungsbehörden vermuten, dass ein Grossteil des Geldes aus illegalen Geschäften stammt und in den USA gewaschen werden sollte. Angesichts der riesigen Beträge gehen sie davon aus, dass staatliche Vermögen darunter sein müssen, die auf die Seite geschafft wurden. Laut der Tageszeitung «USA Today», die sich auf russische und britische Ermittler beruft, wird auch gegen Jelzins Tochter Tatjana Djatschenko, engste Beraterin des Präsidenten, ermittelt. Und: Bis zu 200 Millionen Dollar könnten aus Krediten stammen, die Russland vom Internationalen Währungsfonds IWF zur Sanierung der Wirtschaft zur Verfügung gestellt wurden.
Im New-Yorker Geldwäscher-Skandal spielt die Bank Menatep laut US-Medien eine entscheidende Rolle, über die ein grosser Teil der Gelder geflossen sein soll. Die Menatep hat auch in der Schweiz eine Filiale, die immer wichtiger wird: In Moskau besitzt die Bank nämlich seit Monaten keine Lizenz mehr, hier zu Lande dagegen ist die Menatep Finance in Genf nach wie vor operativ tätig. Sie gehört zum Imperium des russischen Tycoons Mikhail Khodorkowski, Mitbegründer des Davoser Symposiums.
Nach wir vor laufen auch die Untersuchungen gegen den Milliardär und Jelzin-Vertrauten Boris Beresowski, die FACTS aufgedeckt hat. Er soll über die Firmen Forus und Andawa Deviseneinnahmen der Aeroflot in der Höhe von 200 Millionen Dollar unterschlagen haben. Beresowski gilt als enger Freund der Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko und als alter Weggefährte von Alexander Woloschin, dem Chef der Präsidialverwaltung.
Aber nicht nur der Jelzin-Clan steckt in Schwierigkeiten. Der populäre Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow, den viele als Hoffnungsträger sehen, könnte mit undurchsichtigen Geschäften in die Schlagzeilen geraten. Seit März 1998 läuft nämlich in Genf eine Strafuntersuchung gegen den russischen Geschäftsmann Vitali Kirillow. «Es geht um ein Erdölgeschäft», bestätigt der Genfer Untersuchungsrichter Daniel Devaud.
Jahrelang soll ein Teil des billigen Öls, das für das Heizprogramm der Stadt Moskau bestimmt war, abgezweigt und von Kirillow auf dem internationalen Markt gegen harte Dollars verkauft worden sein. Im Visier ist die vor zwei Jahren privatisierte Öl-Fördergesellschaft Purneftegaz, die mit dem Öl-Handels-Imperium der International Economic Cooperation (IEC) in Verbindung steht. Chef der IEC ist Vitali Kirillow. Laut Informationen von FACTS gehen die Ermittler dem Verdacht nach, dass Kirillow Bürgermeister Luschkow und seiner Frau Jelena Baturina als Strohmann diente. Ein Teil des Profits soll auch über Schweizer Konten zur Mabetex geflossen sein, um die Renovation des Kremls zu finanzieren. Von Kirillows Geld hat Untersuchungsrichter Devaud bis heute rund 50 Millionen Franken blockiert. Zur Luschkow-Spur will er sich nicht äussern.
Die aktuellen Fälle belegen eine Entwicklung, vor der Experten wie der von Jelzin suspendierte Staatsanwalt Juri Skuratow schon länger warnen: Wirtschaft, Bürokratie und Kriminalität sind immer schwieriger voneinander zu trennen. «Die Fäulnis der Korruption vernichtet langfristig den Staatsapparat», sagte Skuratow im Mai dem «Tages-Anzeiger». Auch das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) in Bern zeichnet ein düsteres Bild von Russland. In seinem Lagebericht 2/1998 über die organisierte Kriminalität schreibt das BAP von einer «Symbiose der aufblühenden traditionellen Kriminalität mit einer gewissenlosen Geschäftswelt und korrupter Politik». Es zitiert Fachleute, wonach über 1000 Milliarden Dollar an Gütern und Geld illegal aus Russland ins Ausland verschoben wurden. Laut Angaben einer Untersuchungskommission des russischen Parlamentes kontrollieren mafiöse Organisationen in Russland bereits 85 Prozent der Handelsbanken, darunter die zehn wichtigsten, 60 Prozent der Staatsbetriebe und 40 Prozent der Privatbetriebe.
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