Abkehr vom Orient
Der frühere Unruhestifter im arabischen Lager, Libyens Staatschef Moamar al-Kathafi, gefällt sich jetzt als Friedensengel Afrikas.
Von Johannes Dieterich
Mit Bomben versuchte US-Präsident Ronald Reagan, ihn zu zermalmen. Sein Nachfolger George Bush wollte ihn im Kerker schmoren lassen. Und Präsident Bill Clinton hätte ihn gern langsam, aber sicher ausgehungert. Doch Libyens Staatschef Moamar al-Kathafi erfreut sich noch immer bester Gesundheit: Anfang dieser Woche gelang dem als Terroristen-Gönner Verrufenen und Prügelknaben der US-Regierung sogar ein eindrucksvolles politisches Comeback, als er im Kreise von mehr als zwei Dutzend Regierungschefs in Libyens Hauptstadt Tripolis mit Pauken und Trompeten den 30. Jahrestag seiner Machtergreifung feierte.
Wer etwas genauer hinsah, dem fiel ein Charakteristikum der Jubiläumsgäste auf: Fast alle waren schwarzer Hautfarbe Repräsentanten jener Völker südlich der Sahara, mit denen Araber wie Kathafi seit ihrer Zeit als Sklavenjäger eigentlich eher distanzierten Umgang pflegen. Auch der libysche Revolutionsführer hatte sich bis vor kurzem noch fast ausschliesslich zum Orient hin orientiert: Kathafi gehörte zu den leidenschaftlichsten Träumern panarabischer Visionen und wollte mal mit Ägypten, mal mit Syrien oder dem Sudan arabische Grossreiche auferstehen lassen.
Die Visionen sind geblieben, aber die Koordinaten sind verrutscht. «Ich will ein neues Afrika schaffen», teilte der Hirtensohn kurz vor der Jubiläumsfeier der Pariser Tageszeitung «Le Figaro» mit. Denn seine «natürliche Heimat» sei der schwarze Kontinent. Er wolle das Armenhaus der Welt zu den «Vereinigten Staaten von Afrika» zusammenschweissen, kündigte der 57-Jährige gewohnt bombastisch an: Ganz nach dem Vorbild der EU mit gemeinsamer Zentralbank und einheitlicher Währung.
Seinen Auslandrundfunk benannte Kathafi bereits von Stimme der Grossen Arabischen Heimat in Stimme Afrikas um; bei den Fernsehnachrichten wurde die Landkarte ausgetauscht, so dass als Hintergrund nicht mehr der arabische Halbmond, sondern die Umrisse Afrikas zu sehen sind; und seinen Landeskindern riet er, sich mit Schwarzafrikanern zu vermählen. Alles getreu dem Credo des Visionärs: «Die Schwarzen werden in der Welt die Oberhand gewinnen.» Der Grund für Kathafis Kurswechsel ist sein verletzter Stolz. «Wir sind von unseren arabischen Freunden enttäuscht worden», bekennt Aussenminister Omar el-Muntasir. Besonders erzürnte Kathafi, dass sämtliche arabischen Regierungschefs die auf Initiative der US-Regierung gegen Libyen verhängten Sanktionen bis zuletzt gehorsam befolgten.
Da waren die neuen, dunkelhäutigen Freunde doch ganz anders. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) hatte im Juni 1997 mitgeteilt, sie fühle sich nicht mehr an das von der Uno verhängte Flugverbot gebunden afrikanische Staatschefs fielen danach wie Zugvögel in Tripolis ein. Natürlich hatten auch sie für die Kontaktaufnahme ihre guten Gründe. Kathafi, der wegen des Ölreichtums seines Landes stets über Geld verfügt, hatte bereits in der Vergangenheit grosszügig afrikanische Befreiungsbewegungen unterstützt: Südafrikas ANC, Namibias Swapo, Simbabwes ZANU und Ugandas NRA hätten ohne die Hilfe aus dem Norden ihren Guerilla-Kampf wohl nie gewonnen.
Inzwischen sind die einstigen Rebellenführer alle an der Macht doch Hilfe haben sie noch immer nötig. Im Kongo und am Horn von Afrika gerieten sich Kathafis Günstlinge sogar gegenseitig in die Wolle. Weshalb das Vorbild der Rebellen keine Konflikte mehr anzetteln, sondern schlichten muss. Dabei operiert er durchaus mit Erfolg: Sowohl im Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien als auch im ersten afrikanischen Regionalkrieg im Kongo, wo sich die Truppen von sieben Ländern feindlich gegenüberstehen, wurde unter Mitwirkung Kathafis inzwischen ein Waffenstillstand vereinbart.
Doch nicht nur die Schwarzafrikaner profitieren von ihrem arabischen Freund es funktioniert auch umgekehrt. Zum Verdruss der USA reiste sogar Nelson Mandela wiederholt nach Tripolis und verlieh dem libyschen Paria den höchsten Orden seines Landes der eitle Oberst war über die Ehrung hoch beglückt.
Noch wertvoller war für Kathafi, dass Mandela seine Besuche dazu nutzte, in dem seit Jahren festgefahrenen Konflikt um die Strafverfolgung der beiden Libyer zu vermitteln, die den Bombenanschlag auf den im Dezember 1988 über Lockerbie abgestürzten Pan-Am-Jumbo verübt haben sollen. Als Kathafi im April die Angeklagten zum Gerichtsverfahren in die Niederlande schickte, wurden die Uno-Sanktionen ausgesetzt.
Seitdem beginnt auch das Geschäft mit dem Norden aufzublühen. Libyen, das mit einem jährlichen Pro-Kopf- Einkommen von umgerechnet rund 8000 Franken reichste Land Afrikas, wird von Geschäftsleuten ganz oben in der Hitliste für Investitionen angesiedelt. Schliesslich werden unter dem Wüstensand noch gigantische Rohstoffreserven von mindestens 30 Milliarden Barrel Erdöl und 55 Billionen Kubikfuss Erdgas vermutet.
Unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich in der vergangenen Woche kurz vor den Revolutions-Feierlichkeiten über hundert Geschäftsleute vorwiegend aus Europa in Tripolis getroffen, um über Libyens Wirtschaftschancen «im dritten Jahrtausend» zu beraten. Ihr Resultat: «absolut ermutigend», wie ein deutscher Teilnehmer erzählt. Ob solcher Aussichten prophezeit der Libyen-Kenner bereits einen erneuten Kurswechsel von Kathafi: «Sobald die Schwarzafrikaner ihre Aufgabe erfüllt haben, Libyen aus seiner Isolation herauszuführen, wird sich der Blick des Staatschefs nach Europa wenden.»
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