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AUSLAND

Triebkraft Sex

Nur der Mensch tuts ständig: Nächste Woche wird die Menschheit auf sechs Milliarden anwachsen – wegen ihres in der Natur einzigartigen Sexuallebens.

Von Ulrich Bahnsen

Am Anfang, im Dämmer der Vorzeit, vor vielleicht 150 000 Jahren, zählten sie ein paar tausend. Eine bedrohte Art im afrikanischen Busch. Mehrmals müssen sie so stark dezimiert worden sein, dass sie fast von der Erde verschwunden wären.
Es war wohl allein Glück und Zufall, dass der Mensch in jenen längst versunkenen Zeiten nicht ausgestorben ist. Danach jedoch, spätestens nachdem er von Afrika aus Asien und Europa erobert hatte, schwoll die Menschheit zunächst langsam, dann immer schneller an.
Doch zur beherrschenden Art auf dem Planeten wurde Homo sapiens erst zu Beginn der überlieferten Geschichte. 6000 Jahre, rund 300 Generationen, waren nötig, bis im Jahr 1804 die erste Milliarde voll war. 120 Jahre später hatte sich die Zahl bereits verdoppelt. Seit diesem Monat sollen sich nach den Statistiken der Uno-Demografen sechs Milliarden Menschen auf der Erde drängen. Mitte des 21. Jahrhunderts könnten es neun Milliarden sein, oder zwölf. In jedem Fall wird es eng auf der Erde.
Dem Anwachsen der Masse Mensch konnten auch die schlimmsten Katastrophen, Kriege und Seuchen nie Einhalt gebieten. Das Massensterben in zwei Weltkriegen nicht, 20 Millionen Tote in der Grippe-Pandemie von 1918 nicht. Selbst die Pest, die im Mittelalter halb Europa entvölkerte, blieb angesichts des Vermehrungsdrangs des Menschen eine Fussnote der Demografie.
Kein anderes Wesen auf dem Planeten war geeigneter, sich in so kurzer Zeit zu einer globalen Landplage zu entwickeln. Nicht nur, dass der Homo sapiens Staatswesen entwickelte, den Ackerbau und die Technik erfand. Die selbst ernannte Krone der Schöpfung ist wenn überhaupt etwas der Sex-Champion in der belebten Natur.
Ein neues menschliches Leben beginnt (fast) immer mit Sex. Ohne unseren ungehemmten Trieb zur Fortpflanzung müssten wir uns heute nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob sechs Milliarden Menschen auf unserem Planeten zu
viel sind.
Das menschliche Sexualverhalten ist im Tierreich ohne Beispiel. «Wenn Ihr Hund sich zu Ihren Sexualgewohnheiten äussern könnte», schrieb der amerikanische Zoologie-Professor Jared Diamond, «Sie wären überrascht.» Bei den gut viertausend nächsten Verwandten des Menschen im Tierreich wäre man sich einig, meint Diamond, dass die Menschheit als eine Bande von Perversen zu gelten hat.
Zu den Abseitigkeiten der menschlichen Sexualpraktiken zählt der Professor den beischlaforientierten Rückzug ins Schlafzimmer, «statt es wie jedes anständige Säugetier vor Freunden und Bekannten zu machen». Zudem praktizierten Menschen ständig Sex, egal ob die Frau empfängnisfähig sei oder nicht. Das gehe so weit, lässt Diamond einen imaginären Hund zetern, dass sogar nach Frauchens Wechseljahren munter weiter gevögelt werde, obwohl doch jeder wisse, dass es mit der Zeugung für immer vorbei sei. Wechseljahre: So etwas gibt es bei Tieren natürlich auch nicht. Vor allem eine der Besonderheiten im Sexualleben des Menschen, glauben die Experten, hatte weit reichende Folgen: Männer können nicht merken, wann Frauen ihren Eisprung und die fruchtbaren Tage haben. Meist merken es auch die Frauen nicht. Das ist einzigartig – bei allen Tierarten zeigen die Weibchen durch Verhalten, Geruch oder optische Signale, wann sie empfängnisfähig sind, und zumeist wehren sie ausserhalb dieser Zeit jeden Kopulationsversuch eines desperaten Männchens vehement ab. Weil Menschen – vor der Erfindung von Thermometern, Kalendern und Hormontests – nicht wissen konnten, an welchen Tagen ihre Bemühungen überhaupt zu einer Schwangerschaft führen würden, entwickelten sie sich im Lauf der Evolution zu Sexualathleten. In der versteckten Fruchtbarkeit sehen die Fachleute zudem den Grund für die Entstehung mehr oder weniger monogamer und dauerhafter Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau. Um sicher zu sein, dass die Kinder ihrer Frauen auch die ihren sind, mussten die Männer stets bei ihren Frauen bleiben, so oft wie möglich Sex und Kinder mit ihnen haben und verhindern, dass ein anderer ihnen ein Kind unterschob. Die Konsequenz: Die Evolution stattete den Menschen mit der Fähigkeit zum Familienleben und besonders den Mann mit einem durch nichts zu bremsenden Sexualtrieb aus. Alle paar Minuten, so ergaben Umfragen, haben Männer sexuelle Fantasien oder zumindest erotisch gefärbte Gedanken, bei Frauen ist die mentale Sexfrequenz nur wenig niedriger. Der Mensch besitze eine in der Natur einzigartige Obsession, schrieb der amerikanische Fachautor James Shreeve. «Menschen lieben Sex», meint der Anthropologie-Experte, «sie tun es Tag und Nacht, das ganze Jahr hindurch, und während des gesamten Zyklus der Frau.»
Womöglich hatten sie sogar Sex mit den Neandertalern. Als die modernen Menschen vor 40 000 nach Europa vorrückten, könnte es zum frohen Austausch von Fellen, Faustkeilen und Körpersäften gekommen sein. «Wie konnten sie Seite an Seite leben», grübelte das US-Wissenschaftsmagazin «Discover», «und niemals Sex haben?»
Belege dafür fand der US-Anthropologe Erik Trinkaus kürzlich in einem rund 25 000 Jahre alten Kinderskelett, das portugiesische Archäologen letztes Jahr entdeckt hatten. Nach eingehender Untersuchung der Knochen folgerten die Experten: Das Kind war ein Mischling. «Offenbar haben unsere Vorfahren vor 30 000 Jahren sogar die Neandertaler ganz akzeptabel gefunden», meint der Forscher. Für ihn gilt als bewiesen: «Sie haben sich vermischt, sie haben sich gepaart, und sie hatten Kinder miteinander. Das Kind war das Ergebnis einer intensiven und vermutlich Jahrtausende währenden Vermischung.» Die These ist natürlich umstritten.
Sicher scheint, dass die Freude am Sex die grösste Einigungskraft der Menschheit darstellt. Nur vor der Sexgier des Menschen, konstatierte der amerikanische Publizist James Shreeve, schmelzen selbst die sonst häufig unüberwindlich erscheinenden Barrieren zwischen Gesellschaftsschichten, Rassen, Kulturen und Religionen dahin.
Bisweilen allerdings überkommt zumindest einige Menschen Zweifel am Sinn der globalen Dauerrammelei. Das Vergnügen währe nur einen Moment, notierte Lord Chesterfield bereits im 18. Jahrhundert, «die Stellung ist lächerlich, die Folgekosten sind untragbar» – no sex please, we’re british? Das war einmal. Bei einer neuen internationalen Umfrage in vierzehn Ländern – sinnigerweise gesponsert von einem Kondomhersteller – landeten ausgerechnet die Briten vorn: Stolze 133-mal im Jahr geht Britanniens Jugend in den sexuellen Nahkampf, dicht gefolgt von den ebenfalls als prüde verschrieenen Amerikanern und den Deutschen. Auf den weiteren Plätzen: Kanadier, Griechen, Franzosen. Abgeschlagen: Italiener, Polen, Spanier. Und die Menschheit treibt es immer früher: Im weltweiten Durchschnitt verlieren junge Männer ihre Unschuld mit fünfzehn Jahren, Mädchen mit sechzehn.
Eine Befragung der Schweizer Bevölkerung hat ergeben: Vor allem junge Schweizer wünschen sich mehr Sex.
Nur die Hälfte hatte bis zum zwanzigsten Lebensjahr überhaupt Sex. In diesem Alter können junge Amerikaner statistisch betrachtet bereits auf mehr als sieben sexuelle Beziehungen zurückblicken. Engländer waren mit 21 Jahren schon sechs Mal verbandelt, Deutsche fünf Mal.
Doch nur wenige, erst recht nicht in der Jugend, schreiten in Absicht der Kindszeugung zur Tat. Niemand weiss, wann die Menschen erkannten, dass Sex zur Schwangerschaft führt. Doch zumindest in der historisch belegten Zeit haben sie stets mit mehr oder weniger wirksamen Methoden versucht, die Folgen der Lust zu vermeiden. Kondome waren schon im antiken Rom und vermutlich weit früher in Gebrauch. Alle Naturvölker dürften empfängnisverhütende Kräuteressenzen gekannt haben. Doch erst mit der Erfindung der Anti-Baby-Pille in den Sechzigerjahren war die Herrschaft der Natur über die Empfängnis endgültig gebrochen. Sex wurde zum nackten Vergnügen.
«Sex ist für den Menschen die Quelle der intensivsten Freude», schreibt Zoologe Diamond. Doch warum hat die Evolution dem Menschen ein Daueramüsement gegönnt, das anderen Tieren, zumindest die meiste Zeit, verwehrt bleibt? Bei genauer Betrachtung ist es mit dem reinen Vergnügen nicht weit her. Menschen sind in Wahrheit nicht monogam, an Konfliktpotenzial zwischen den Geschlechtern mangelt es weder beim Sex noch beim Zusammenleben und auch nicht in der Gesellschaft.
«In der menschlichen Sexualität», schreibt US-Forscher Donald Symons, «gibt es eine weibliche Natur und eine männliche. Beide sind ausserordentlich verschieden.»
Das hat einen einfachen Grund, meinen Evolutionsforscher und vor allem die Vertreter der evolutionären Psychologie. Zwar sind die Geschlechter gegenseitig auf ihre Gene angewiesen, wenn es um die Fortpflanzung geht. Beide können ihre Gene nur dann weitergeben, wenn ihre Kinder überleben. Damit erschöpfen sich die biologischen Gemeinsamkeiten jedoch. Die Lasten des Kindersegens sind leider höchst ungleich verteilt.
«Unter natürlichen Bedingungen», konstatierte der Psychologe Steven Pinker in seinem Buch «How the mind works», «müssen Frauen in ein Kind neun Monate Schwangerschaft und zwei oder drei Jahre Stillzeit investieren. Männer investieren einen Teelöffel Sperma.» Frauen können sich daher nur wenige Male fortpflanzen. Und zumindest in der Vorzeit brauchten sie den Mann fürs Überleben ihrer Kinder – und ihrer Gene. Männer dagegen kön-nen – vorausgesetzt, sie finden genügend Frauen – fast unbegrenzt viele Kinder zeugen. Das Überleben ihrer Gene ist weit weniger vom Überleben eines einzelnen Kindes abhängig. Die Konsequenzen der Fortpflanzungsbiologie, meinen die Vertreter der Evolutionspsychologie, prägen das Verhältnis der Geschlechter bis heute. Im Lauf der Evolution des Menschengeschlechts, behaupten sie, hätten Männer und Frauen unterschiedliche Paarungsstrategien entwickelt, die noch immer – gleichsam fest verdrahtet – in den Köpfen der Menschen sitzen.
Quer durch alle Kulturen, hat der amerikanische Psychologe David Buss festgestellt, bevorzugen Frauen wohlhabende Männer. Selbst reiche Frauen tendieren dazu, sich mit ebenfalls reichen Männern fortzupflanzen – ein instinktiver Versuch, die Ernährung des Nachwuchses zu sichern. Männer bevorzugen rund um den Globus junge Frauen – sie bringen häufiger und gesündere Kinder zur Welt. Und in dem männlichen Streben nach Macht, Karriere und Geld erkennen die Evolutionspsychologen das Bestreben, für möglichst viele der wählerischen Frauen als Fortpflanzungspartner attraktiv zu sein.
Bleibt die Frage, wozu das ganze Theater gut sein soll. Bakterien vermehren sich schliesslich ohne Sex, durch Teilung, viele Pflanzen und auch manche Tiere sind Zwitter. Warum die Natur vor über 300 Millionen Jahren den Sex erfand, ist rätselhaft.

 

Wachstums- Prognosen
Die Menschheit wächst immer schneller. Seit 1960 hat sich die Zahl der Menschen von drei auf sechs Milliarden verdoppelt. Jede Minute kommen 150 Kinder auf die Welt. Im Jahr 2054, schätzt die Uno, werden neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Zu viele? Der akute Bevölkerungskollaps, in den Achtzigerjahren noch in aller Munde, wurde verschoben. Heute geht man davon aus, dass es möglich ist, so viele Menschen zu ernähren. Das Problem ist nicht eine mangelnde Produktion, sondern die ungleiche Verteilung und die Verschwendung. Das reichste Fünftel der Menschheit konsumiert 66-mal mehr Ressourcen als das ärmste Fünftel. Die Probleme bleiben immens: Zwei von drei Menschen werden im Jahr 2025 nur begrenzt Zugang zu sauberem Wasser haben, schätzt die Uno. Die Umwelt wird übernutzt, die Luft zu stark verschmutzt, das Klima erwärmt. Die höchsten Geburtsraten haben die Entwicklungsländer, die grösste Bevölkerungsdichte Europa und Asien.

Erfolge lassen hoffen
Um das überproportionale Wachstum in der Dritten Welt bremsen zu können, brauchts wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Wohlstand und bessere Bildungs- und Arbeitschancen für Frauen reduzieren die Geburtenraten. Die Erfolge lassen hoffen: Dank Verhütungsmitteln, höherer Lebensstandards und Bildung hat sich die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in den letzten dreissig Jahren auf 2,7 halbiert.