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AUSLAND

Ich, der KGB-Spion

Der ehemalige Auslandspion Konstantin Preobraschenski schildert exklusiv für FACTS den Niedergang des sowjetischen Geheimdienstes.

Bis heute erinnere ich mich an die alte Villa in einem der Gässchen hinter der Ljubjanka, dem Sitz des KGB. Fremde wurden von einer Wache zurückgewiesen, die sich unerwartet hinter den Bäumen des kleinen Parkes zu materialisieren pflegte. Hier, unter schattigen Linden, absolvierten die künftigen sowjetischen Auslandspione ihre Psychotests.
«Ich beschwöre dich», warnte damals ein alter Insider meinen Vater, «halte deinen Sohn bloss davon ab, hier einen allzu hohen Intelligenzgrad zu demonstrieren, sonst hat er keine Chancen.» Und er fuhr fort: «Der Spionagedienst kann Intellektuelle nicht gebrauchen. Er benötigt kräftige und dämliche Kerle. Nicht umsonst sind unsere Psychiater allesamt Anhänger des alten Sprichwortes: Dumme werden nicht wahnsinnig!» So kam ich also 1978 als ausgebildeter Japanologe zur Auslandspionage, indem ich mich dämlich stellte.
Schon bald musste ich zugeben, dass das Fussvolk wirklich eine ziemlich graue Masse bildete. Wer aber eine lange Leitung mit einer gewissen Schläue zu kombinieren verstand, der wurde zum General befördert. Diese Leute wurden jedoch nicht seltener wahnsinnig als die sensibelsten Intellektuellen. Auf Befehl von KP-Chef Juri Andropow eröffnete man gar eine psychiatrische Spezialabteilung im KGB-Hospital in der Pechotnja-Strasse – damit sich die Neigung der Geheimdienstler zum Irrsinn nicht in den anderen Spitälern der Hauptstadt herumspräche.
Ehrlich gesagt gabs auch einiges, was einen in den Wahnsinn treiben konnte. Denn sämtliche Aktivitäten der Auslandspione waren reichlich absurd und standen sich meist selbst im Weg. Wozu in aller Welt musste man Agenten im Ausland anwerben? Na klar, um Informationen zu gewinnen, würde man meinen. Aber die politischen Informationen deckten sich oft in keiner Weise mit dem, was unsere Führung erlaubte. Und Informationen aus den Gebieten Wissenschaft oder Technik zielten ins Leere, weil man sie in unseren Produktionsstätten nicht anzuwenden verstand. Wir lebten damals nach Fünfjahresplänen. Und nach fünf Jahren ist jede Erfindung veraltet. Neue Informationen verursachten nur Probleme. Die konnte ein Agent vermeiden, indem er sich nur auf die Anwerbung eines Informanten konzentrierte. Sobald dieser aber wirklich Informationen abwarf, runzelten unsere Chefs die Stirn und drängten ihn in den Hintergrund. Somit lebten wir nach Leo Trotzkis Maxime: Der Weg ist wichtiger als das Ziel.
Es kam vor, dass man einem Agenten einen Orden verlieh, weil er einen besonders wichtigen Informanten angeworben hatte. Aber schon kurz darauf rügte man ihn, weil der Informant «nicht die richtigen» Informationen brachte. Zudem denunzierten sich unsere Spitzel ununterbrochen gegenseitig. Was Wunder, dass sie schnell den Verstand verloren! Während meiner gesamten Dienstzeit im KGB hatte ich stets das Gefühl, in einem absurden Theaterstück mitzuwirken.
1980 wurde ich, wovon ich von Kind an geträumt hatte: Korrespondent der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass in Tokio. Aber das Spionieren behinderte mich in meiner journalistischen Tätigkeit. Die anderen Korrespondenten hassten mich, weil ich ein Spion war, und die Spione hassten mich, weil ich ein richtiger Journalist war. 1985 warb ich einen Agenten an, einen Wissenschaftler aus China. Beim ersten Treffen verhaftete mich die japanische Spionageabwehr – um mich sogleich wieder freizulassen. In Japan gibt es nämlich kein Gesetz, das Spionage verbietet. Trotzdem befahl mir die Zentrale, unverzüglich auszureisen – eine ziemlich dämliche Entscheidung. Die stärkste Abteilung der Auslandspionage war die deutsche. In Deutschland arbeiteten drei Residenturen – in Ostberlin, in Westberlin und in Bonn. Die wichtigste war in Ostberlin, die vorteilhafteste aber in Westberlin. Dort wurden die Mitarbeiter nicht nur in Westwährung bezahlt, sondern man verbot ihnen auch, sich als Spione zu betätigen. Man wollte in Westberlin nicht in irgendwelche Spionageskandale verwickelt werden. Die Arbeit eines Spions war dort gleichbedeutend mit ewigen Ferien.
Wen es von den Mitarbeitern des Auslandspionagedienstes nach Ostberlin verschlug, der hatte weniger Glück. Ein bisschen Westwährung erhielten dort nur wenige Mitarbeiter – für Treffen mit V-Leuten in Westberlin. Ihre Einkäufe beobachteten von Neid zerfressen die Ehefrauen jener, die kein Recht hatten, durch die Berliner Mauer zu schreiten.
In der Westberliner Residentur arbeiteten Generalssöhne und Leute, die hoch gestellte Verwandte hatten. Auch mich hätte man dort nach dem Skandal in Japan fast genommen. Aber der Fall der Berliner Mauer kam mir zuvor. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass der KGB darauf in keiner Weise vorbereitet war. Die absurde Realität dort verbot es sogar den Generälen, Zweifel an der Ewigkeit des kommunistischen Systems anzumelden. Derartige Zweifel hätten jeden, der sie äusserte, seiner Karriere beraubt.
Der Fall der Berliner Mauer war für den sowjetischen Auslandspionagedienst ein schwerer Schlag. Plötzlich fehlten ihm nicht nur einige hundert warme Posten in der Berliner Residentur. Er sah sich auch einer gewaltigen Informationsquelle beraubt, die weltweit wirkte – nämlich der Stasi, des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit.
Zu keinem Geheimdienst der übrigen sozialistischen Länder unterhielt der KGB intimere Beziehungen. Anders als die anderen Geheimdienste wirkte die Stasi als Filiale des KGB. Im Moskauer Hauptquartier des Auslandspionagedienstes konnte einem einfach so ein Mitarbeiter der Stasi auf dem Korridor entgegenkommen. Das war ein Zeichen höchsten Vertrauens. Denn die Deutschen hätten sich ja auf diese Weise die Gesichter von Hunderten sowjetischer Spione merken können. Es gab nur noch ein Land, dessen Agenten sich eines so hohen Vertrauens erfreuten: Kuba. Die Stasi zahlte mit barer Münze zurück. All ihre Beute schleppte sie nach Moskau. In gewissen Jahren stammten 70 Prozent unserer Informationen von ihr. Die Stasi agierte weltweit, sie ging aggressiver vor als der KGB, der sich um einen Kern von feigen Bürokraten rankte. Die Auflösung der Stasi traf den sowjetischen Geheimdienst hart.
Nach dem Zusammenbruch der bipolaren Welt änderten sich die Arbeitsbedingungen der russischen Agenten. Die Informationen stammten meist aus westlichen Zeitungen, die in der UdSSR nicht verkauft werden durften. Jetzt waren sie plötzlich auch in Russland erhältlich. Zudem beherrschen die Kreml-Beamten von heute auch Fremdsprachen, im Unterschied zu ihren Kollegen von früher. Der Auslandspionagedienst hat seine Stellung als einziger Lieferant von politischen Informationen eingebüsst. Und was er heute an wissenschaftlich-technischen Informationen sammelt, kann er kaum an den Mann bringen. Denn die Entwicklung des militärisch-industriellen Komplexes stagniert in Russland. Und zivile Unternehmen verzichten auf die geklauten Technologien, weil sie keine Skandale gebrauchen können.
Der russische Spionagedienst hat grosse Probleme mit der Agentenwerbung. In Ländern, in denen es traditionellerweise viele KGB-Agenten gab (Deutschland, USA, Japan), existieren noch ein paar Dutzend. Aber es wächst die Zahl der Länder, in denen Russland keinen einzigen Agenten hat (einige Länder in Nordeuropa und im sozialistischen Lager).
Nach dem Ende des kommunistischen Systems und der Auflösung des KGB ist der Spionagedienst um die Hälfte geschrumpft. Die erfahrensten, unternehmungslustigsten und demokratisch gesonnensten Leute haben ihn verlassen. Geblieben sind die Reaktionäre. Wer von den ehemaligen Spionen früher in einer sowjetischen Handelsvertretung gearbeitet hat, der treibt auch heute Handel und nutzt dabei seine Drähte zu Exagenten unter den russischen Unternehmern.
Einstige Auslandspione sind in der Regel bei privaten Sicherheitsdiensten beschäftigt, einige haben mit der Mafia zu tun. Ehemalige Mitarbeiter des politischen Spionagedienstes arbeiten im Aussenministerium, in Parteien und im Parlament. Nur wenige Exspione wollen den KGB entlarven, zum Beispiel ich.
Aber gerade unter diesen Leuten gibt es eine Kategorie, die westlichen Ländern gefährlich werden könnte. Diejenigen, die sich nur zum Schein vom KGB losgesagt haben. Sie arbeiten in Euorpa und den USA in Wirtschaft und Handel, geben sich als Exspione aus, sind aber in Wirklichkeit immer noch Spione.

 

Der Autor
Auslandspion

Konstantin Preobraschenski, geboren 1953 in Moskau, studierte Japanologie. 1980 trat er dem KGB bei. 1982 bis 1985 arbeitete er als Spion in Tokio, dann bis zu seiner Kündigung 1991 in der Zentrale in Moskau. Er hat viele Bücher veröffentlicht, darunter 1994 «Der Spion, der Japan liebte».

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